Schein und Sein

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Schein und Sein

Thronende - ihr Schein und Sein

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 Das Beste am Zahnarzt ist sein Wartezimmer. Vorhof zur Hölle. Letzte Gelegenheit für schöne Gedanken vor dem Schmerz. Ich lese im Reisemagazin von Traumzielen in der Karibik. Ich werde in der Regenbogenpresse Beschauer der Welt der Schönen und Reichen. Ich bringe mich auf den neuesten Stand in den europäischen Königshäusern. Ich gebe zu: Sie ist schön anzusehen, die Glitzerwelt. „Pomp & Circumstances“ haben etwas Erhebendes. Höfisches Zeremoniell strahlt Würde aus. Es hat alles seine Ordnung. Nichts scheint sie gefährden zu können. Irgendwie beruhigend. 

2

Nicht für den Bildhauer Andreas Kuhnlein. Zwei Thronende aus Eichenholz hat er mit der Kettensäge geschaffen und nebeneinandergesetzt. Zwei Monarchen? Nur die linke Person sieht aus, wie ich mir einen König vorstelle. Sie hat weibliche Züge. Sie sitzt aufrecht auf ihrem Thron. Sie ist bekrönt. Strahlt Würde aus. Nichts scheint sie gefährden zu können. Die Hände hat sie gefaltet und in den Schoß gelegt. Die Füße ruhen auf einem Schemel, nicht auf dem Boden. Das irritiert mich.

Will sie sich ihre Füße nicht dreckig machen? Ist das eine Königin, die den Staub meidet, in dem ihre Untertanen leben? Meidet sie gar den Kontakt mit jenen, die nicht zu ihrer Welt gehören? Die Kluft zwischen dem Prunk des Hofes und den Nöten des Volkes scheint groß zu sein. Die unter aller Würde leben, können die Würde der Königin nicht gefährden. Sie ist aalglatt. Ist nicht greifbar. Gibt nicht preis, was sie im Innersten bewegt. Mehr Schein als Sein. 

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Rechts daneben thront ein anderer. Ein Narr, wer ihn für einen König hält. Aufrecht sitzt er auf einem Hocker. Kein Zepter. Keine Krone. Die Hände auf die Knie gelegt. Die Füße auf dem Boden. Er ist jederzeit bereit aufzustehen. Kein Fußschemel ist im Weg. Kein Kleid hindert ihn. Er ist ein Mann der Tat. Das sehe ich ihm an. Das Leben hat Spuren hinterlassen auf seinem Körper. Arbeitshände. Muskulöse Beine. Furchen im Gesicht. Sorgenfalten? Narben? 

Er ist durchlässig. Er lässt in sich hineinsehen, was er denkt und fühlt. Was ihn freut. Woran er leidet. An ihm kann ich mich festhalten. Es macht mir nichts aus, dass der Prunk fehlt. Weil ich glaube: Er packt selbst mit an, um das Elend aus der Welt zu schaffen. Er tut alles, was in seiner Macht steht, damit es seinem Volk gut geht. Dass es sich herrlich lebt in seinem Reich. Als Untertan bin ich versucht zu sagen: Er ist einer von uns.

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Von solch einem Herrscher lese ich bei Paulus, der den Propheten Jesaja zitiert (1. Korinther 2,9): Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Jetzt in der Epiphaniaszeit blicke ich auf den leibhaftigen Gott. Jesus Christus. Menschenskind. Gottessohn. Nicht von dieser Welt. Und doch mitten drin. Dieser Gott lebt nicht in einem fernen Himmelreich. Er überbrückt die Kluft zwischen Himmel und Erde. Und lebt unter den Bedingungen der Menschen. Mit Staub an den Füßen. Im Elend. Unter aller Würde. 

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Der Dichter Martin Behm nennt ihn „König aller Ehren“ und singt (EG 71,3):

„Du bist ein großer König, wie uns die Schrift vermeld’t, 

doch achtest du gar wenig vergänglich Gut und Geld, 

prangst nicht auf stolzem Rosse, trägst keine güldne Kron, 

sitzt nicht im steinern Schlosse; hier hast du Spott und Hohn.“ 

Er ist einer von uns. Martin Behm traut diesem König zu, dass er die Menschen schützen kann, damit sie in Frieden leben. Darum mache ich die Bitte des Dichters zu meiner (EG 71,3):

„Hilf, dass ich dich erkenne und mit der Christenheit 

dich meinen König nenne jetzt und in Ewigkeit.“

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