10/03/2025 0 Kommentare
Mensch sein
Mensch sein
# Impulse

Mensch sein

Mensch sein zu Menschen
1
Ein schlimmer Augenblick ist das für das Paar in der Straße. Man kann die Stimmung ahnen, mit der die zwei bislang durch die Straße gingen. Und dann noch das. Der Bettler lächelt. Er schwenkt nicht seinen Hut und ruft nicht laut – er lächelt. Das Lächeln trifft, darf man vermuten, auf schon vorhandenen Missmut, zumindest aber auf Langeweile. Kein Wunder also, dass es der Frau vor Schreck entfährt: „VERDAMMT … ER HAT UNS ANGELÄCHELT … WAS MACHEN WIR JETZT!?“
Jetzt ist guter Rat teuer, könnte man sarkastisch sagen. Das Lächeln macht mehr Eindruck auf das Paar als der offene Hut – und noch mehr Eindruck als ein Wegschauen des Bettlers. Es würde nicht wundern, wenn die beiden jetzt nach ein paar Münzen suchten, um der Freundlichkeit schnell zu entkommen.
Ein lächelnder Bettler, wo gibt’s denn so was?!
2
Hin und wieder gibt es das. Innenstädte sind heute gut gefüllt mit Bettelnden, meistens Männern. Und natürlich gibt es auch die Gruppen die, straff organisiert, zum Betteln zusammengeschlossen werden, am Tag in der Stadt verteilt und abends dann in irgendeine Unterkunft gefahren werden, um am nächsten Tag wieder auszuschwärmen – Aber es bleiben ja immer noch nicht wenige, die von ihrer Not auf die Straße getrieben werden, wo immer ihre Not auch herkommt. Es stimmt eben oft nicht, was Menschen sich gerne zur Beruhigung sagen: „In unserem Land muss niemand betteln“. Doch, manchmal schon. Und sei es einmal die Woche gegen Ende des Monats, wenn die Unterstützung knapp wird.
Vielleicht kennen wir es nicht aus eigener Erfahrung, können uns aber vorstellen: Wenn das Geld ab dem 25. eines Monates knapp wird, beginnt die Passion.
3
Armut ist eine Passion, andauerndes Leiden. Oft verschämtes Leiden. Wir sind daran nicht schuld. Das ist wichtig zu betonen. Für viele Verhältnisse, für gebrochene Lebensläufe, für Schuld und Verschuldungen aller Art können wir nichts. Wir können auch nichts dafür, wenn die Unterstützung gering ausfällt oder die Rente kaum reicht. Es gibt Armut, manchmal schlimme Armut, aber wir können meist nichts dafür.
Mitempfinden aber können wir; mitleiden mit Schwachheit. Es gibt, das sieht man manchmal in den Straßen, ein strammes Wegschauen, wenn jemand sich einem Bettler nähert; oder ein besonders kraftvolles Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin – als erkenne man darüber hinaus nichts mehr. Und es gibt herablassende Blicke auf die, die betteln; buchstäblich von oben herab, dazu noch abschätzig. Muss das sein? Genügt es nicht als Elend, dass einer an der Hauswand sitzt mit einem Hut oder Plastikbecher vor sich? Aber es geschieht. Dann geben sich die, die doch für Armut nichts können, auch noch verächtlich gegenüber der Armut; wehren sie ab, als müsste sie nicht sein und wir könnten das beurteilen.
Manchmal gibt es Armut. Und mitunter lächelt sie uns sogar an. Und dann?
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Dann lächelt sie. Und wir brauchen ein Verhalten dazu. Wir brauchen immer ein Verhalten zu dem, was uns begegnet. Meistens haben wir eins. Bei Bettlern manchmal nicht. Das Beste wäre: mitempfinden, mitleiden mit der Schwachheit. Mitempfinden heißt: Das Leben aus den Augen des anderen oder der anderen zu sehen versuchen; sich einfühlen in dessen Lage. Nur kurz, einen Moment.
Nein, dann muss man immer noch nichts geben, wenn man nichts hat oder meint, nichts zu haben. Dann lächelt man eben zurück, sagt vielleicht „Guten Tag!“ in das Gesicht. Vor allem aber denkt und schaut man nicht herablassend, weder von oben herab noch verächtlich. Das ist schon viel. So oft erlebt ein Bettler es nicht, das Gefühl des Mitempfindens.
5
Und wenn man hat, gibt man. So einfach ist das. Meist hat man ja. Und muss sich nur beugen, um Hut oder Becher des Bettlers nicht zu verfehlen mit der Münze. Vielleicht erlebt man dann auch Blicke von anderen, die sagen: Gib dem doch nichts, der tut nur so. Auch so eine Abwehr der Not zu meinen: der tut nur so. Sitzt man wirklich zum Spaß auf der Straße?
Und wenn, lohnt Gott meine Münze dennoch.
Aber darum geht es ja nicht. Es geht um mein Empfinden. Mitempfinden ist so leicht wie Wegschauen, vielleicht noch leichter. Wegschauen kostet oft mehr Kraft als Hinschauen.
Es geht einfach um meine Einstellung. Ich will sie achten, die da sitzen. Ich freue mich, wenn sie mich anlächeln. Ich schenke ihnen Wert durch Blicke, durch menschliche. Wenn ich habe, gebe ich etwas. Und mir ist wohler. Ich war Mensch zu einem Menschen. Und Gott wird sich freuen, da bin ich mir sicher.
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